High-Tech trifft Know How
Ihr akkreditiertes Prüflabor für Schadensanalyse und Werkstoffprüfung seit über 30 Jahren

Im Fachbericht der letzten Ausgabe wurden die Möglichkeiten zur Beeinflussung der Korngröße, die Korngrößenmessverfahren und die Einflüsse der Korngröße auf Eigenschaftsveränderungen beschrieben. Bei der Beschreibung der optimalen Teilchengröße der Aluminiumnitride hatte sich leider ein Tippfehler eingeschlichen, der zunächst korrigiert werden muss. Die optimale Teilchengröße liegt bei 30 – 50 nm und nicht, wie fälschlicherweise dargestellt bei 30 – 50 µm.
Der Artikel war auch Anlass, weitergehende Untersuchungen im Rahmen einer Bachelorarbeit zu starten. Nach Abschluss dieser Arbeiten wird auch hierüber berichtet werden.

Korngrenzen

In diesem Teil 2 sollen die Korngrenzen, welche Körner unterschiedlicher Orientierung, jedoch gleicher Kristallstruktur trennen, ausführlicher behandelt werden. In der Metallphysik wird zwischen Großwinkelkorngrenzen, Kleinwinkelkorngrenzen und Zwillingskorngrenzen unterschieden. Im Zusammenhang mit Diffusionsvorgängen bei der Wärmebehandlung sind vornehmlich die Großwinkelkorngrenzen von Bedeutung.
Aus der flüssigen Schmelze entstehen bei der Erstarrung zufällig orientierte Kristalle an Keimpunkten. Unter Beibehaltung der einmal vorgegebenen Kristallorientierung wachsen die Kristalle und stoßen dann auf einen Kristall mit einer anderen Orientierung. Die dabei gebildeten Grenzflächen zwischen den Kristallen sind die Korngrenzen. Ein im Wachstum behinderter Kristall wird als Kristallit bzw. Korn bezeichnet.
Die Fehlpassung zwischen den unterschiedlichen Kristallorientierungen führt zu einer Störung der Gleichgewichtslage der an den Korngrenzen gelegenen Atome. Dies wiederum führt zu zahlreichen spezifischen Eigenschaften. Die Legierungselemente Kohlenstoff, Schwefel, Bor, Phosphor, Zinn und Antimon können sich an Korngrenzen anreichern, was praktisch immer mit einer Zähigkeitsminderung verbunden ist.
An den Austenitkorngrenzen beginnt bei gleichgewichtsnah langsamer Abkühlung die Ausscheidung von voreutektoidischem Ferrit bzw. Zementit. Die Korngrenzen sind die Keimpunkte der diffusionsgesteuerten Umwandlung. Zudem ist die Diffusionsgeschwindigkeit an den Korngrenzen für viele Atomsorten deutlich größer als im Korninnern. Fast immer führen Segregationen und Ausscheidungen an Korngrenzen zu merklichen Verschlechterungen von Werkstoffeigenschaften.

Carbidausscheidungen

Eine gleichgewichtsnahe Abkühlung übereutektoidischer Stähle führt zu Ausscheidungen von Sekundärzementit an den Austenitkorngrenzen. Durch
die Natriumpikratätzung werden die Zementitausscheidungen an den Korngrenzen sehr gut erkennbar,
Bild 1. Diese Gefügeausbildung ist weder für die mechanische Bearbeitung noch als Ausgangszustand
für das Härten und Anlassen verwendbar. Es erfolgt
daher bei diesen Stählen vor Auslieferung eine Weichglühung bzw. GKZ-Glühung (+AC) zur Einformung der
Carbide. Nach Abschluss der mechanischen Bearbeitung erfolgt dann bei diesen Werkzeugstählen
das Härten und Anlassen. Beim Austenitisieren wird
dabei nicht der gesamte Kohlenstoffgehalt gelöst,
sondern es verbleiben ungelöste Sekundärcarbide.
Da die unlegierten bzw. niedriglegierten Werkzeugstähle
aufgrund der begrenzten Härtbarkeit in Wasser, Öl,
Salz oder einem Polymergemisch abgeschreckt werden
müssen, ist eine neuerliche voreutektoidische Carbidausscheidung an den Korngrenzen nicht zu erwarten.
Dies ändert sich, wenn ein Carbidbildner, z.B.
Chrom in größeren Konzentrationen hinzulegiert wird.
Chrom bildet nicht nur Sondercarbide, sondern verbessert auch die Härtbarkeit. Diese Stähle, z.B. der
Werkstoff X153CrMoV12, Werkstoff-Nr. 1.2379, können
daher im Vakuumofen mit Gasdruckkühlung gehärtet
werden. Zur Auflösung der Sondercarbide sind Austenitisierungstemperaturen zwischen 1000 und 1080°C
erforderlich. Bei unzureichender Abschreckgeschwindigkeit kann es dann zu voreutektoidischen Carbidbildungen an den Austenitkorngrenzen kommen,
Bild 2. Die ohnehin bei diesen Stählen geringe Zähigkeit
wird dann nochmals verschlechtert.
Austenitische Stähle werden nach einer Kaltumformung in einem ähnlichen Temperaturbereich wie
die chromlegierten Werkzeugstähle lösungsgeglüht.
Bei der nachfolgenden Abkühlung ist eine Chromcarbidbildung an den Korngrenzen ebenfalls zu vermeiden. Die sich bei zu langsamer Abkühlung bildenden
Chromsondercarbide haben einen höheren Chromgehalt als die Matrix, was zu einer Chromverarmung
in der Umgebung der Korngrenzen und dem daraus
resultierendem Verlust der Korrosionsbeständigkeit
führt.
Zu einem ähnlich negativen Resultat kommt es,
wenn härtbare korrosionsbeständige Stähle im Temperaturbereich von 450 – 600°C angelassen werden,
Bild 3.

Phosphordiffusion
Zur Reduzierung der erforderlichen Umformkräfte
erfolgt vielfach vor der Kaltumformung eine Phosphatierung der Oberfläche. Diese Schicht muss vor
einer nachfolgenden Schutzgasglühung durch Reinigung entfernt werden. Dies geschieht, basierend auf
dem chemischen Verhalten von Phosphatschichten
(löslich in Säuren und Laugen), in der Regel durch den
Einsatz basischer Reinigungsmittel.
Erfolgt keine Reinigung, setzt eine Zersetzung der
Zinkphosphatschicht ein. Hierbei beginnt zunächst
das in der Zinkphosphatschicht gebundene Zink aufgrund seines niedrigen Siedepunktes von 907°C, je
nach Glühtemperatur, teilweise bzw. vollständig zu verdampfen und das Radikal PO4 bleibt übrig. Die
endothermische Schutzgasatmosphäre reduziert dieses
Radikal und es entsteht elementarer Phosphor, der in
die Stahloberfläche eindiffundiert.
Der eindiffundierende Phosphor bewirkt eine Aufweitung des Ferritgebiets. Bei ausreichendem Phosphorgehalt wird der Austenit in Ferrit umgewandelt
bzw. Ferrit durch Phosphor stabilisiert. Dieser bleibt
auch bei Glühtemperaturen oberhalb von Ac1 beständig. Eine Umwandlung in Austenit findet nicht
statt, weshalb auch beim Abschrecken kein Martensit
gebildet wird.
Bei der metallographischen Untersuchung und
einer Ätzkontrastierung mit 3 %iger Salpetersäure ist
eine scharfe Trennlinie zwischen dem phosphorstabilisiertem Ferrit und dem Grundgefüge zu erkennen.
Der Phosphor ist aber über die Korngrenzen sehr viel
tiefer eindiffundiert, was durch eine Oberhoffer-Ätzung
nachweisbar ist, Bild 4 und 5

Die phosphorinduzierte Umwandlung von Austenit
in Ferrit erfolgt nur bei Stählen mit niedrigem bzw.
mittlerem Kohlenstoffgehalt. Bei höheren Kohlenstoffgehalten wird der Phosphor zwar auch aufgenommen,
jedoch kommt es nicht zu Ferritbildung. Der Phosphor
ist an den Korngrenzen nach einer Oberhofferätzung
wieder deutlich erkennbar und wirkt versprödend.
Dies kann zu Abschreckspannungsrissen führen, wie
dies in Bild 6 dargestellt ist.
Findet die Wärmebehandlung hingegen in einer
oxidierenden Atmosphäre statt, wird eine Phosphoreindiffusion verhindert. Es kommt neben einer verstärkten Zinkverdampfung zu einer Oxidation der
Oberfläche, bei der Phosphor im Oxid abgebunden
wird. Bei einem nachfolgenden Abschrecken platzen
diese nur gering haftenden Schichten ab.
Die Entfernung der Phosphatschicht ist aber nicht
nur zur Vermeidung von phosphorstabilisiertem Ferrit
ratsam. Das verdampfende Zink kondensiert an kalten
Stellen im Ofen, was zu einer starken Verschmutzung
führt.
Kupfer-Nickel-Segregation
Stähle aus der Elektrostahlerzeugung weisen im
Vergleich zu Stählen aus dem Sauerstoffkonverter
stets höhere Kupfer- und Nickelgehalte auf. Bei der
Elektrostahlerzeugung wird Schrott eingeschmolzen
während bei der Stahlerzeugung im Konverter Roheisen
verarbeitet wird. Die beiden Elemente Kupfer und
Nickel sind oxidationsstabil und können daher nicht
aus der Stahlschmelze entfernt werden. Während
das Roheisen nur geringe Gehalte an diesen beiden
Elementen aufweist und die Menge Kühlschrott im
Vergleich zum Roheisen nur gering ist, steigt der
Gehalt an diesen Elementen durch das mehrfache
Recyceln von Schrott bei der Elektrostahlerzeugung
an.
Die Oxidationsstabilität der Elemente Kupfer und
Nickel macht sich auch bei der Wärmebehandlung
bemerkbar. Unter oxidierender Atmosphäre entsteht
Eisenoxid und die Gehalte an Kupfer und Nickel
reichern sich an der Oberfläche an. Der Konzentrationsgradient zwischen den Elementgehalten an der
Oberfläche und dem Grundwerkstoff führt zu einer
korngrenzenorientierten Diffusion von Kupfer und Nickel.
Beim Vergütungsstahl 42CrMo4, Werkstoff-Nr.
1.7225, mit 0,56 % Cu+Ni wurden Anreicherungen bis
zu ca. 20 % gemessen. Die kupfer- und nickelreichen
Korngrenzen sind weich, was zu Rissbildungen beim
Abschrecken führen kann. Treten bei der Fertigung
oder Verwendung von Bauteilen mit Kupfer-NickelSegregationen Biegespannungen auf, besteht ebenfalls
eine Rissgefahr. Beispielhaft ist das Ferrit-Perlit-Gefüge
von Rundstahl-Kettengliedern dargestellt, Bild 7. Beim
Kaltbiegen traten vermehrt Risse auf.
Sauerstoffdiffusion
Bei der Aufkohlung in endothermischen Atmosphären kommt es nicht nur zu einer Kohlenstoffübertragung sondern auch zu einer Sauerstoffaufnahme. Während der Kohlenstoff im Austenitgitter
gelöst wird, reagiert der Sauerstoff mit den sauerstoffaffinen Elementen Chrom, Mangan und Silizium und bildet Oxide. Auch bei dieser Reaktion sind die
Korngrenzen in besonderer Weise betroffen. Die an
den Korngrenzen gebildeten Oxide wirken wie feine
Kerben und mindern die Festigkeitseigenschaften insbesondere bei dynamischer Wechselbelastung. Auch
im Korninnern kommt es zu Oxidbildungen, die eine
allerdings eine globulare Form aufweisen, Bild 8.
Die Oxide mindern nicht nur die dynamischen
Festigkeitseigenschaften, sie entziehen der Randschicht
auch die härtbarkeitssteigernden Legierungselemente.
Durch die verminderte Härtbarkeit kommt es in der
randnahen und oxidbehafteten Randschicht nicht
mehr zu einer Martensitbildung. Vielmehr entsteht
eine weiche Randschicht aus Perlit und Bainit, die zudem Zugeigenspannungen aufweist. Alle genannten
Einflussgrößen erhöhen die Anrissneigung, was zu
einer Reduzierung der Schwingfestigkeit führt. Bei
Verzahnungsbauteilen können die Zahnflanken geschliffen werden, in den Zahnfußbereichen bleibt die
Randoxidation allerdings erhalten.
Die Bedeutung der Randoxidation für die Bauteileigenschaften wird auch dadurch erkennbar, dass
zur Bestimmung der Randoxidation eine eigene Norm
DIN 30901 erstellt wurde.
Randoxidationen treten nicht nur bei Aufkohlungsbehandlungen auf, sondern auch beim Austenitisieren mit einem aufkohlungsneutralen C-Pegel. Das
Ausmaß der Randoxidation ist beim Austenitisieren
zum Vergüten jedoch geringer ausgeprägt, da die
Verweildauer in hoher Temperatur sehr viel kürzer ist
als bei der Aufkohlungsbehandlung.