Eine für die Wärmebehandlung der Stähle sehr wichtige Eigenschaft ist deren Härtbarkeit. Die experimentelle Bestimmung der Härtbarkeit ist in der DIN EN ISO 642:2000-01 festgelegt. Anlässlich des neuen Entwurfs dieser Norm aus 2023-08 sollen die Methoden zur Bestimmung der Härtbarkeit ein Update erhalten.
Bereits der Konstrukteur muss die Härtbarkeit berücksichtigen, wenn ein reales Bauteil zur Erzielung der Gebrauchseigenschaften vergütet werden muss. Insbesondere bei großen Querschnitten ist die Härtbarkeit für den Härteverlauf im Querschnitt eine wichtige Eigenschaft. Dabei muss zwischen der Aufhärtbarkeit und der Einhärtbarkeit unterschieden werden, die wie folgt definiert sind:
Aufhärtbarkeit: Maximal erreichbare Härte eines Stahls nach dem Abschrecken. Wenn Martensit entsteht, ist die erzielbare Härte nur vom Kohlenstoffgehalt abhängig. Die maximale Härte liegt bei 67 HRC.
Einhärtbarkeit: Erreichbare Tiefe im Bauteil zur Bildung eines Härtungsgefüges. Sie ist sehr stark vom Gehalt an härtbarkeitssteigernden Legierungselementen abhängig.
Als Grundlage zur Bewertung der Härtbarkeit sind in den internationalen Normen für die Einsatz- und Vergütungsstähle (DIN EN ISO 683-3:2022-06 und DIN EN ISO 683-2:2018-09) Angaben zur Härtbarkeit und deren Spannweiten festgelegt. Für jeweils zwei Stähle sind in Tabelle 1 bis Tabelle 4 die Angaben beispielhaft aufgeführt.
Der Blick in diese normativ festgelegten Spannweiten am Beispiel der Einsatzstähle 16MnCr5 und 18CrNiMo7-6 sowie der Vergütungsstähle C45 und 42CrMo4 macht deutlich, dass aufgrund der teilweisen sehr großen Spannweiten, für eine konkrete Stahlcharge weitergehende Informationen notwendig sind. Zwar sind gewisse Einschränkungen mit den Härtbarkeitsklassen +HH bzw. +HL möglich, für eine Serienfertigung sind diese jedoch vielfach noch unzureichend, was zu zahlreichen firmenspezifischen und weitergehenden Festlegungen geführt hat.
Die experimentelle und normgerechte Durchführung eines Stirnabschreckversuchs mit nachfolgender Härteverlaufsbestimmung ist recht aufwendig, ggfs. fehleranfällig und damit kostenintensiv. Dies wird auch in der Entwurfsfassung der Norm wie folgt erläutert:
E-DIN EN ISO 642:2023-08: „Aufgrund der vielen Schritte bei der Probenvorbereitung und Prüfung wurden alternative Verfahren zur Ermittlung der Jominy-Kurve entwickelt. Diese beruhen auf statistischen Analysen und Modellierungen einer hohen Anzahl-Versuchen. Die Grundlage bildet die chemische Zusammensetzung der Probe (Schmelzenanalyse) und das Ergebnis ist eine berechnete Jominy-Kurve. Dadurch werden praktische Fehler durch Probenahme, Vorbereitung und Prüfung ausgeschlossen.“
Die erste Veröffentlichung zur Berechnung der Härtbarkeit aus der chemischen Zusammensetzung erfolgte bereits 1990 durch den Verein Deutscher Eisenhüttenleute (VDEh) in einem Berichtsband und später im Stahl-Eisen-Prüfblatt 1664:2004-06 (SEP). Die Möglichkeit zur rechnerischen Bestimmung der Härtbarkeit aus einer Schmelzanalyse fand dann auch Eingang in die Werkstoffnormung. Dem Stahlhersteller wird eingeräumt, die Härtbarkeit über eine Berechnung zu bestimmen. Dabei bleibt das Berechnungsverfahren dem Hersteller überlassen. Falls vereinbart, ist das Berechnungsverfahren anzugeben.
Dies kann dazu führen, dass zwei Werkszeugnisse von unterschiedlichen Stahlerzeugern abweichende Ergebnisse aufweisen, die nur durch unterschiedliche Berechnungsmethoden entstanden sind.
Die sehr häufig anzutreffende und für jeden Anwender frei zugängliche Berechnung erfolgt nach Stahl-Eisen-Prüfblatt 1664:2004-06 (SEP). Diese Berechnungsformeln sind nach Stahlgruppen gegliedert und basieren auf sehr große Datenvolumen. Unbeantwortet ist dabei die Frage, ob die seinerzeit verwendeten Stähle auch heute noch das gleiche Verhalten zeigen, obwohl die Herstellverfahren stets weiterentwickelt wurden. Es stellt sich auch die Frage, ob diese Formeln zur Berechnung der Härtbarkeit auf alle internationalen Stahlproduktionen anwendbar sind.
Im Rahmen zahlreicher Untersuchungen waren Beispiele mit einer sehr guten Übereinstimmung zwischen den gemessenen und berechneten Werten vorhanden. Es gab aber auch markante Unterschiede, die zu falschen Rückschlüssen geführt haben.
Beispiel 1: Ein Unternehmen bestellt den Einsatzstahl 18CrNiMo7-6 mit der Härtbarkeitsklasse +HH, was auch im Lieferantenzeugnis bestätigt wurde. Unter Verwendung der Formeln aus SEP 1664 überprüfte der technische Einkauf die Härtbarkeit und stellt eine untere Grenzlage mit teilweise geringer Unterschreitung der Härtbarkeitsklasse +HH fest. Da man wenig Erfahrung mit der Berechnung der Härtbarkeit hatte, erhielten wir den Auftrag die Härtbarkeit mit einem Stirnabschreckversuch nach DIN EN ISO 642:2000-01 zu bestimmen.
Das Ergebnis war überraschend. Die gemessene Härtbarkeitskurve lag im gesamten Bereich innerhalb der Härtbarkeitsklasse +HH und im Stirnflächenabstand von 25 mm lag ein Unterschied von 5,7 HRC-Einheiten vor, Bild 1.
Die im Labor überprüfte Analyse bestätigte im Rahmen üblicher Messwertstreuungen die Angaben im Lieferantenzeugnis und erklärte daher die Unterschiede nicht, Tabelle 5.
Bei Beanstandungen der Härtbarkeit ist nach DIN EN ISO 683-3 eine Schiedsanalyse nach DIN EN ISO 642 durchzuführen. Damit wäre diese Beanstandung ins Leere gelaufen. Weitere Untersuchungen zur Ursachenermittlung wurden nicht durchgeführt.
Beispiel 2: Im Rahmen einer Erstmusterprüfung wurden Stirnabschreckversuche zur Bestimmung der Härtbarkeit durchgeführt und auch hier den berechneten Werten gegenübergestellt. Die Ergebnisse der Laboranalyse stimmten auch hier mit den Angaben des Lieferantenzeugnisses gut überein, Tabelle 6.
Im Unterschied zum Beispiel 1 lag diesmal die berechneten und gemessenen Härtewerte bis zu einem Stirnflächenabstand von 9 mm sehr nahe beieinander. Erst danach verlief die gemessene Härtekurve nahezu konstant oberhalb der berechnete Härtekurve in einem Abstand von ca. 3 HRC-Einheiten, Bild 2.
Beispiel 3: Ein Lieferantenzeugnis für den Einsatzstahl 18CrNiMo7-6 hat die Härtbarkeitswerte aus dem Stirnabschreckversuch ausgewiesen. Ein Vergleich mit den ebenfalls ausgewiesenen Elementgehalten, Tabelle 7 ließ eine vergleichsweise gute Übereinstimmung zwischen den berechneten und gemessenen Härtewerten erkennen, Bild 3. Die im Stirnflächenabstand bis 5 mm unterschrittenen Härtewerte der +HH-Untergrenze hätten jedoch auf Basis der Berechnung zu einer Beanstandung führen können. Da im Lieferentenzeugnis jedoch die experimentell gemessenen Härtewerte ausgewiesen waren, lag eine bestellkonforme Härtbarkeit vor.
Beispiel 4: Zur Durchführung einer Masterarbeit [1] wurden verschiedene Materialproben beim Stahlhandel bezogen. Vor Durchführung der eigentlichen Untersuchungen wurden die Standards wie Analyse, Gefüge, Härte und Härtbarkeit bei den Vergütungsstählen 34CrNiMo6, 30CrNiMo8, 42CrMo4 und C45E bestimmt. Die Ergebnisse der beiden höher legierten Vergütungsstähle wurden hier nicht beschrieben, da das SEP 1664 für diese Legierungsgruppen über 0.07keine Formeln verfügt. Die Analysenergebnisse der vier Vergütungsstähle sind in Tabelle 8 aufgelistet.
Auch hier ergab sich ein differenziertes Ergebnis. Beim Vergütungsstahl 42CrMo4 lag im Oberflächenabstand bis 11 mm eine recht gute Übereinstimmung zwischen den experimentell gemessenen Härtewerten und den berechneten Werten vor, Bild 4. Ab 13 mm wichen die Ergebnisse ab und die berechneten Härtewerte lagen oberhalb der gemessenen Werte. Im Stirnflächenabstand von 25 mm betrug der Unterschied 7 HRC.
Bei dem unlegierten Vergütungsstahl C45E fällt die experimentell bestimmte Härteverlaufskurve etwas steiler ab als bei den berechneten Werten, Bild 5. Allerdings wirken die messtechnisch bedingten Abweichungen bei einem steilen Abfall sehr viel gravierender aus.
Ausblick
Die wenigen Beispiele haben gezeigt, dass die in dem SEP 1664 aufgeführten Regressionsgleichungen sowohl gute als auch abweichende Ergebnisse liefern. Die Ursachen konnten im Rahmen dieser Betrachtungen nicht ermittelt werden. Dies ist auch für den Anwender Ausblick kaum möglich, da keine ausreichende Datenbasis zur Verfügung steht. Im begründeten Einzelfall muss eine experimentelle Bestimmung im Stirnabschreckversuch durchgeführt werden. Der Hinweis im Normenentwurf der E-DIN EN ISO 642:2023-08 auf die Berechnungsformeln des SEP 1664 ist eine hilfreiche Anregung. Eine parallele Überarbeitung der 35 Jahre alten Formelsätze wäre jedoch wünschenswert. Insbesondere wäre von Interesse, welche Stahlwerke an der Erstellung der Regressionsformeln beteiligt waren.
Diejenigen Stahlwerke, die bereits eigene Regressionsformeln erarbeitet haben, sollten dies in den Lieferantenzeugnissen ausweisen. Damit lassen sich Missverständnisse vermeiden, wenn der Anwender mangels anderer Möglichkeiten Berechnungen nur mit den Formeln des SEP 1664 durchführen kann.
Literatur
[1]: Klaessen, Jörn: Berechnung mechanischer Kennwerte von Vergütungsstählen mit Hilfe von Stirnabschreckproben. Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science (M.Sc.) am Institut für Technologien der Metalle. Universität Duisburg-Essen 2016
Gleich zwei unserer Werkstoffprüfer haben in diesem Sommer Ihre Ausbildung zum Werkstofftechniker erfolgreich
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Die Ausgabe 4 eines jeden Jahres informiert stets über den HärtereiKongress (früher HärtereiKolloquium).
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